Eyes without a Face

Der Song von Billy Idol lief im Radio, als wir heute Nachmittag an der Beachbar gesessen haben. Irgendwie scheint mir dieser Text mehr als passend für die zunehmende Islamisierung dieses Landes. Sagt übrigens auch Peter aus Graz vom EUFOR-Bataillon aus Sarajevo. Denn es ist eben nicht nur Jajce, wie wir längst festgestellt haben, sondern das ganze Land, in dem sich der Islam immer mehr und immer schneller ausbreitet. Was aber nicht auf die innerpolitischen Strukturen zurück zu führen ist, sondern vielmehr auf die Einflüsse von außen. Und außen heißt: Arabien. Von außen heißt auch: finanzielle Mittel. Und weil ich immer alles genau wissen will und mir Mutmaßungen und falsche Urteile nicht genügen, frage ich einfach nach.
„Nein Mama! Nicht schon wieder. Lass jetzt! Geh da nicht hin, die verstehen dich sowieso nicht!“ So klingt meist Marlene, weil ihr das alles hier einfach viel zu fremd ist. Sie war übrigens auch die Erste, die bemerkt hatte, wie sehr sich die vollverschleierte Frau in Jajce echauffierte, als ich sie heimlich fotografiert hatte. „Los, renn! Die gehen sonst auf uns los!“
Auf jemanden los geht hier ganz gewiss keiner, zumindest nicht, wenn es an touristischen Hotspots ist. Und so bin ich einfach auf die Menschen auf „unserer“ Badeplattform zugegangen oder vielmehr zugeschwommen und über die Leiter aus dem Wasser hochgeklettert.
„Hi! Where are you from?“, fragte ich die Männer, die sich zum abendlichen Kaffee niedergelassen hatten. Von Kuwait seien sie, erklärte der Pascha, dessen eindeutiger Status schon auf den ersten Blick ersichtlich war. Er stellte mir seine beiden Söhne vor, ebenso die beiden Freunde der Söhne. (Töchter sind übrigens nie anzutreffen.) Die Frauen indes seien zu Hause, während sie selbst hier ihre Ferien verbrächten. Das vierte Jahr bereits flögen sie regelmäßig von Dubai nach Sarajevo, hätten ein Haus am Jablanico Jezero gekauft. Sofort wurde mir Kaffee und Schokolade angeboten und Jörg dazu gerufen. Gastfreundschaft scheint selbstverständlich zu sein, und zum ersten Mal dachte ich darüber nach, dass meine „leichte Badebekleidung“ und meine tropfnasse Erscheinung in deren Augen ein ähnlicher Affront darstellen musste, wie in unseren Augen eine gesichtslose Frau in einer Burka mit lediglich zwei engen Gucklöchern. Aber irgendwie halt doch anders …

Peter sagt auch, dass sich der Islam hier ausbreiten würde, wie ein Geschwür. Schnell und gefährlich. Das spüre man an der ganzen Stimmung im Land. Auch für den Unkundigen ist das übrigens spürbar. Zum Beispiel an den Ortschildern in den serbischen Gebieten, auf denen der lateinische Ortsname überall unkenntlich gemacht ist. Dabei ist es den Serben gar nicht zu verübeln, dass sie um ihr Land „kämpfen“. Denn sie fühlen sich schlichtweg überrannt und aus ihrer Heimat vertrieben und wollen doch nichts, als das Erbe Jugoslawiens verteidigen.
Gegen diesen Zustrom ist kaum noch anzukommen. Es entstehen immer mehr Moscheen mit Geldern und Zuschüssen aus dem Nahen Osten, aus Saudi-Arabien, aus Kuwait, aus den Emiraten. Sarajevo beispielsweise ist mittlerweile überwiegend muslimisch. Damit kaufen sich die Saudis und all die anderen regelrecht in dieses Land ein.
Auf die Frage, was denn die EUFOR in Bosnien noch zu tun hätte, gibt Peter nur ein kurzes Statement ab: „Dia konnst no long ned allän loss’n. Denn dia derschlong sich sonst boid wieder.“
Schuld daran seinen mitunter die politischen Verhältnisse, ergänzt er. „Do stinkt äniges gewoidig zum Hümmä.“ Korruption und vieles mehr, worüber keiner Bescheid weiß, was nie an die Öffentlichkeit gelangt und was man auch gar nicht wissen will. So, wie man auch nicht wissen will, wie es tatsächlich zu den Dayton-Verträgen gekommen ist. Der Jugoslawienkrieg kümmert keinen mehr wirklich, auch das sagt er. „Denn jetzt hom mer jo an Därror. Des is der naiche Kriag.“ Und unter den Kriegsführern befänden sich vorneweg die Medien – Twitter, Facebook, Bild und Co auf Feldzug im Quotenkampf. Da geht es heutzutage nur noch um Klicks und um Likes, um Headlines und eben um die Quote. Und jede Bombe, die irgendwo hochgeht, kommt gerade recht. Wer der erste ist am Hotspot, der hat die Story. Und derjenige, der sie hochgehen lässt, wird auf einen Klick weltberühmt. Um es mal bitterböse und ganz krass auszudrücken …
„Wuist a Bier?“, fragt er mich, drückt mir eine Dose Gösser in die Hand und versucht, von der Politik und dem Weltenlauf abzulenken. Als Antwort erhält er von mir eine Gegenfrage. „Wie verkraftet man solche Einsätze auf Dauer, und was macht das mit einem?“ Denn auch im Kosovo war er zu Kriegszeiten im Einsatz. Jeweils für acht Monate, dann geht es bis zum nächsten Einsatz für vier Monate zurück nach Österreich. „Des wuist net wiakle wüss’n“, sagt er knapp, und seine Stimme wie auch seine Stimmung verändert sich unmittelbar.
Wie überhaupt den acht Jungs dieses Bataillons an diesem Nachmittag am Boracko Jezero nicht anzumerken ist, dass sie eigentlich einen Tag Freizeit verbringen sollten; von Easy Going ist rein gar nichts zu spüren. Das ganze schwere Geschütz gut gesichert in drei Autos verteilt, die neben unserem Wohnwagen stehen, kann keiner wirklich entspannen. Ständig sind sie in Habacht-Stellung, und ständig ist der Blick in alle Richtung gerichtet. Ob es nach solchen Einsätzen jemals wieder möglich sein wird, ins Leben zurückzufinden?

Kommt keiner!

Am Abend kamen Verena und Hendrik. Beide waren sie junge 19 Jahre alt und mit dem kleinen Bus von Verenas Papa unterwegs, den sie auch immer wieder telefonisch konsultieren mussten, wenn’s mal wieder eine kleine Delle gab. „Nee! Ne?“, zeigte sich Hendrik auf westfälische Weise völlig entgeistert. „Ihr seid mit dem Wohnwagen echt hier hoch und wieder runter gefahren? Das hatten wir ja schon mit dem Bus schier nicht geschafft. Voll krass!“ Wie wir weiter kommen werden, wollte er wissen. Die Frage ist durchaus berechtigt, denn noch sind wir hier, weil das erstens soooo ein schöner Platz ist und weil wir einfach noch keinen Plan haben. Auf jeden Fall wollen wir die Strecke nicht mehr zurück, wäre doch die Steigung in die andere Richtung vermutlich nicht besser fahrbar. Die Alternative ist eine gelbe sehr enge Schlangenlinie auf der Landkarte, die sich über sehr viele Höhenlinien windet und eine Länge von geschätzten 70 Kilometer zu haben scheint.
„Die nehmen wir! Alles ist besser als der Rückweg“, war sich Jörg heute sicher. Ich mir nicht so. Aber immerhin besser, eine Route erst gar nicht zu kennen und einfach auf gut Glück loszufahren, als zu wissen, was auf einen zukommt. Damit das Unterfangen nicht gänzlich zum Himmelfahrtskommando werden würde, sind Verena und Hendrik heute schon mal vorausgefahren. Denn auch sie wollen über Foca nach Montenegro in den Durmitor. Die beiden haben unsere Handy-Nummern, und jetzt warten wir darauf, dass sie grünes Licht geben.
Sicherheitshalber die Strecke heute Vormittag die ersten 15 Kilometer abgeradelt, haben wir tatsächlich festgestellt, dass die Straße erstens breit genug ist, und zweitens hier fast keiner fährt. Denn das geht hier mitten durch die Berge und eine sehr dünn besiedelte Gegend zwischen Neretva und Hochgebirge.
Nach mittäglichem Badestopp am Ufer der zirka zwölf Grad kalten grünen Schönen haben wir das auffordernde Angebot der kleinen Bar In The Middle of Nowhere durstig angenommen. „Kann ich euch helfen?“, fragte der Wirt, nachdem er schon länger unsere eifrigen Versuche der Kartenauslegung beobachtet hatte. Oh ja, und wie er konnte. Und er konnte auch hervorragendes Deutsch. In Oberhausen sei er aufgewachsen. „Aber irgendwann hat es mich nach Hause gezogen“, sagt er und macht trotz der recht aussichtslosen Lage (sieht man einmal vom grandiosen Blick auf die Neretva ab) einen sehr zufriedenen Eindruck. „Nein, es verirrt sich nur selten einer hier her“, sagt er. „Aber ich will auch nicht reich werden. Fünfzig bis hundert Mark am Tag genügen.“ Mit seiner Frau lebt er hier oben in den Bergen. „Die ist grad unten im Dorf“, erzählt er weiter. Und wenn heute einer kommen würde und etwas zu essen bestellen würde, könnte er zumindest den Stromausfall vorschieben, der seit zwei Stunden mal wieder alles lahm legt – nur um nichts kochen zu müssen. „Ich kann nur Spiegeleier“, gibt er schmunzelnd zu. Aber es kommt ja eh keiner. Gut, dass wir nur ein Bier bestellen.
Die Straße, ja, die sei gut befahrbar. „Solange die gelb ist auf der Landkarte, hat die wohl Asphalt.“ Sagt der Wirt, ist sich aber auch nicht ganz sicher, denn soweit kommt er hier gar nicht weg. Zumindest aber die Steigung sei seines Wissens nach geringer, als jene von Konjic hoch. Und Verkehr gibt’s hier eh kaum.
So sitzen wir noch eine ganze Weile, betrachten verträumt die grüne Neretva, lauschen den unverständlichen Gesprächen zwischen Wirt und seinem einzigen Gast, was ohnehin die perfekte Symbiose abzugeben scheint und nach viel mehr nicht verlangt. Wir starren auf die Straße, die flimmernde Hitze auf dem welligen Asphalt und sind einfach glücklich, dass sich hier kaum ein Auto her verirrt.
„Kommt keiner.“ Sagt Jörg nach einer Weile in fast philosophischem Tonfall. „Ja, kommt keiner.“ High Noon im Hochgebirge … Und auch ich bin mir langsam sicher, dass wir zumindest den Versuch wagen sollten, den Weg über die Berge nach Foca zu nehmen. Mal gespannt, was Verena und Hendrik sagen …

Die SMS kam gerade eben. „Zirka 20 Kilometer mittendrin unbefestigte Piste, obendrein eine stark einsturzgefährdete Holzbrücke. Das packt ihr mit dem Wohnwagen niemals! Wir sind endlich im Durmitor. Viele Grüße und eine gute Weiterreise, Vreni und Hendrik“

Entsprechend ist die Ernüchterung und auch eine gewisse Panik ist momentan nicht zu leugnen. Wie kommen wir hier jemals wieder weg? ADAC ist Marlenes Vorschlag, was ich übrigens noch nicht mal als den schlechtesten Einfall erachte (lohnt sich diese Mitgliedschaft dann endlich!). Jörg meint, das käme ungefähr einer Kapitulation gleich und ist dafür, entweder die Strecke morgen mit dem Auto abfahren und Lage checken (hey, das geht einmal komplett über die Treskavica, also Mountain Adventure!), oder mit dem Auto die 15 Kilometer zurück und sich jede Serpentine einprägen, um im entsprechenden Moment bloß nicht stehen zu bleiben. Peter, der Bataillonsführer der EUFOR-Truppe aus Sarajevo, die uns heute den ganzen Nachmittag an unserem Platz unmittelbar am See Gesellschaft geleistet und uns mit österreichischem Gösser-Bier versorgt haben, meint, man könne den Wohnwagen durchaus per Hubschrauber ausfliegen, aber 1.400 Kilo seien einfach zu schwer. Und einen größeren Hubschrauber hätten sie nicht mehr zur Verfügung, denn auch hier würde längst eingespart. Aber das ist eine andere Geschichte … Jetzt bin ich erst mal gespannt, wie diese Geschichte hier ausgeht.

 

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Another Hero?

Gestern sind wir ein Stück weiter südwärts gezogen, was unseren Wohnwagen beziehungsweise den Mitschuh zum ersten Mal an seine Grenzen gebracht hat. Die Fahrt verlief zunächst völlig reibungslos, denn mit einem langsamen Vorankommen war bereits vor Abfahrt zu rechnen. So tuckerten wir gemütlich über die bosnische Landstraße in Richtung Sarajevo. Verkehr gab es wenig, staunende und winkende Menschen viele, so, wie sie uns im vergangenen Jahr bereits begegnet waren.
Manche Dinge bemerkt man auf solchen Fahrten erst auf den zweiten Blick, wenn man ihn abwendet von der Landschaft und den Menschen, die hier leben. Zum ersten Mal fielen uns die unzähligen Friedhöfe auf, die fast flächendeckend das ganze Land überziehen. Am Eindrücklichsten sind davon gewiss die muslimischen „Gottes“äcker, denn die nehmen gewaltige Ausmaße in Anspruch. Fast kommt es einem vor, als würden hier Flächennutzungspläne unter einem ganz anderen Aspekt betrachtet. Diese Felder ziehen sich hügelan, hügelab über’s ganze Land hinweg. Immer wieder unterbrochen von christlichen oder orthodoxen Friedhöfen. Aber in der Summe überwiegen ganz klar die muslimischen Gräberfelder.
„Was hier für ein Totenkult betreiben wird, ist schon gewaltig“, fasst Jörg das sich daraus ergebende Flickwerk in der Landschaft zusammen. „In diesem Land wird für die Toten mehr getan als für die Lebenden.“ Das kann man wohl so auf den Punkt bringen. Und diese Friedhöfe werden auch nie wieder aus diesem Bild verschwinden. Sie wachsen und wachsen und wachsen. Wie die Moscheen auch. Da gilt es scheinbar vor allem, Zeichen zu setzen, was in der Summe irgendwie ein erschreckendes Bild abgibt. Einen Liegeplatz hat man hier auf „Lebzeiten“ im Reich der Toten. Da wird nicht etwa nach 100 Jahren das Feld geräumt, um dem Nächsten Platz zu machen …

So führte unsere Route weiter durch Dörfer, vorbei an Flüssen und Seen und vielen, vielen Poljes. Bis sich die Straße aufbäumte und zu einer ersten sportlichen Bergetappe über den Makljen aufforderte. Locker die Serpentinen gepackt, denn Mitschuh als auch Wohnwagen hatten beide neue Schuhe bekommen, offenbarte sich oben auf der Passhöhe ein gewaltiger Blick über das Land.
„Los, wir halten hier an, irgendwo wird das schon möglich sein. Ich möchte ein Foto machen“, war meine befehlende Bitte 🙂
„Ne, Mama, echt nicht, wir wollen heute noch ankommen und endlich zum Baden“, maulten die Kinder aus der hinteren Reihe. „Das kannst du dir alles nachher auf Google Earth anschauen“, war Marlenes ernst gemeinter Vorschlag.
Ja, und ich muss zugeben, das tue ich auch oft. Aber jetzt wollte ich das Panorama halt Live und in Echtzeit haben. Also Stühle raus und Picknick gerichtet!
Etwas abenteuerlicher gestaltete sich dann die Abfahrt. Wo letztes Jahr noch Straße war, war dieses Jahr keine mehr. Dafür jede Menge Schotter, erdrutschgezeichnetes Gelände und Bagger, Laster, Bauarbeiter. Irgendwie kamen wir durch, oder vielmehr hüpften wir mit unserem Gespann über Stock und Stein, wichen herabkrachenden Felsbrocken aus, befanden uns aber bald schon wieder auf dem Asphalt. (Gruß an Bine und Dreas: Die stibitzten langstieligen Campari-Gläser aus der Maremma haben’s übrigens überlebt ;-))
War ja halb so schlimm! Ganz schlimm sollte es nämlich erst noch kommen …

Konjic war unser Ziel, zumindest jenes, welches das Navi noch verstanden hatte. Denn für die letzte Etappe waren keine Karten mehr verfügbar.
„Kinder, jetzt sind wir gleich da! Es sind gerade mal noch 15 Kilometer.“ Und mit der grandiosen Kulisse, dem grün-blauen Wasser der Neretva, dem Anblick des herrlichen Jablanicko-Jezeros und des blitzblauen Himmels stieg auch meine Vorfreude auf den Boracko Jezero. Dass sich dieser See nicht umsonst als einer der schönsten Bergseen Bosniens bezeichnet, hat wohl einen Grund, und dieser Grund heißt schlichtweg: Berg!
Ich will jetzt gar nicht mehr weiter ausführen, wie sich diese letzten „kurzen“ 15 Kilometer nicht nur in die Länge, sondern vor allem in die Höhe gezogen haben … Am Anfang war’s kein Problem. Auch die kleine Fußgängerzone unten im Dorf ließ sich locker durchkreuzen. Das Lastwagenverbots-Schild gab zum Einen Beruhigung, zum Anderen aber warf es doch die heimliche Frage auf, weshalb hier Lastwagen nicht fahren dürfen … Aber ach was. Es ging ja! „Gell, da kommt jetzt keiner, wenn da ein Verbots-Schild steht?“, richtete ich mehr verzweifelt und mich an einen dünnen Strohhalm klammernd meine Frage an Jörg, so, wie wenn man ein Kind fragen würde „Gell, du isst nichts von der Schokolade auf dem Tisch, wenn ich nicht hingucke?“ Oder so ähnlich …
Noch war Jörg guter Dinge. Schmunzelte über meine Panik und kurbelte Kurve um Kurve die Serpetinen hoch. Auch noch, als die Straße enger und enger wurde und schließlich in einen Singletrail überging, ließ seine Zuversicht nicht nach. „Das ist schon mal ein guter Vorgeschmack für den Llogara-Pass. Du wolltest doch noch ganz andere Straßen fahren“, kamen immer wieder kleine, süffisante Seitenhiebe.
„Da kommt einer!!!!“, brüllte ich wie vom Blitz getroffen. „Nein, gleich zwei!!!!“
Jetzt wurde es nicht nur saueng, sondern auch Jörg ziemlich blass. Zwei große Lastwagen von oben, zirka zehn Autos hinter uns und eine einspurige Piste mit geschätzten 15 Prozent Steigung vor uns. Die Notlage war schnell erkannt, die beiden Lastwagen mussten nach oben zurücksetzen. Was uns dazu brachte, in einer geschotterten Ausweichstelle erst einmal kurz Luft zu holen, um nach dem Passieren der beiden LKWs im Geröll anfahren zu müssen. Vorbelastet vom letzten Jahr, steckte uns immer noch das Durmitor-Desaster in den Knochen … Ein Scharren der Räder, ein Fauchen, ein Qualmen, viel Gummi … „Ich dreh jetzt gleich durch!“, waren meine verzweifelten Töne, die ich halb wimmernd, halb schreiend von mir gab. Die Reifen taten es mir gleich! Bis der Mitschuh gerade noch die Kurve gekriegt hat und mit dem Wohnwagen im Schlepptau ins Rollen kam.
Irgendwie haben wir es mit viel Glück ohne ein weiteres Mal anhalten zu müssen nach oben geschafft. Puh!
„Hätte man sich das nicht mal auf Google Earth anschauen können, bevor man so eine Strecke fährt?“ Klar, hätte „man“, Frau hat’s eben nicht getan. Ich laß mich doch nicht von Google Earth dominieren!
Jörg zeigte sich zum ersten Mal und mit Schweißperlen auf der Stirn etwas angesäuert, während Tina Turner aus dem Radio röhrte: „all the children say: we don’t need another hero!“ Wie recht sie doch hatte: Denn wir hatten ja einen 🙂
„Boah, ist das ein toller Blick nach unten“, fand ich schnell meine Worte wieder. „Siehst du da unten den See?“ Klar sah Jörg den See und zeigte sich auch wenig verwundert, dass der sich nicht ganz oben auf dem Pass befand. Wie’s weiter ging, will keiner wirklich wissen, sowenig, wie wir wissen wollen, wie wir hier jemals wieder weg kommen werden.
Den zauberhaften Platz am noch zauberhafteren Boracko Jezero nach den längsten 15 Kilometer unseres Lebens erreicht, schien sich auch der Wirt dieses „Eko Selos“ zu wundern, wie wir hier überhaupt her gekommen sind. Zumindest war er völlig konsterniert, als es darum ging, eine Rechnung für Auto UND Wohnwagen ausstellen zu müssen.

 

 

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Die Pinguine von Jajce

Diejenigen, die sich an die „Höllenhunde von Jajce“ erinnern, erwarten hier bestimmt eine Neuauflage der nächtlichen Gefechte sämtlicher bosnischer Straßenköter. Aber ganz falsch gedacht: Die Hunde sind weg, dafür sind die Pinguine da! Und viel mehr noch ist da. Über das ich in der Kürze der Zeit gar nicht berichten kann. So vieles haben wir in diesen heutigen Tag gepackt. Also müssen ein paar Stichworte genügen, um euch davon überzeugen zu können, dass wir wohlauf sind 🙂
1.

Vielen Dank für die vielen herzlichen Geburtstagsgrüße. Schön, aus der Ferne über so viel Nähe zu wissen …

 

2.

Das Glücksschwein von Bine und Dreas kann ich sowas von gut gebrauchen und gibt mir ein Grundvertrauen und eine gewisse Sicherheit, die mich nach meinem gestrigen Zaudern und Zögern einfach Lügen straft. Heute übrigens hatte es seinen ersten Einsatz. (Aber nicht nur das Schwein allein, sondern auch das legendäre Notfallbüchle ist mit an Bord, samt den 20 Euro, die im Buchrücken verstaut sind und über den allergrößten Notfall hinweg helfen sollen …

 

3.

Abenteuerliche Radtour durch das bäuerliche Bosnien mit diversen Badepausen.

 

4.

Besichtigungsmarathon am Nachmittag mit dem gefassten Beschluss, die nächsten Tage ruhig anzugehen.

 

5.

Die aufgeworfene Frage: Woher kommen all die Pinguine? (Mit den Pinguinen seien die unzähligen voll verschleierten Frauen in langen Burkas gemeint, die, begleitet und bewacht von ihren Männern und dem Rest der Familie ein mehr oder weniger isoliertes Dasein unter dieser Art Tarnmantel fristen. Stellt sich eine weitere Frage: Weshalb sind die alle hier? Jörg ist der Meinung, weil Bosnien das nördlichste muslimische Land sei und weil sie in christlich geprägten Ländern wenig Ansehen unter diesen furchteinflößenden und menschenunwürdigen Gewändern genießen würden. Und weil Jajce so eine Art Pinguine-Hochburg darzustellen scheint. Die Balkan-Eisscholle sozusagen. Und ich frage mich: Wo kommen sie her? Aus aller Herren Länder, in denen die Frauen nichts zu sagen haben. Aber die Sippen sehr wohlhabend sind, was man an deren (Männer)Kleidung und dem ausgeprägten Markenbewusstsein sieht. Oftmals ist das ein erschütterndes Bild, wenn einer dieser Pinguine beim Essen sitzt und Gabel für Gabel unter einem Ganzkörperschleier mit integriertem Gesichtsschutzlappen verschwinden lässt (und ja, wir haben tatsächlich damit begonnen, im Maskulin von diesen Gestalten zu sprechen, ist ihnen doch dadurch jegliche Weiblichkeit abhanden gekommen).

 

6.

Hier mit der Policija in Clinch zu geraten, ist nicht unbedingt lustig, aber irgendwie war es das doch. Direkt aus der Bar („In der Bar, in der Bar, was machen die da?“ Klar! Biertrinkern! :-)) mit dem Auto unmittelbar auf den Polizeiposten am Stadtausgang zugesteuert, war Jörg noch bemüht, rasch einen Kaugummi einzuwerfen und in der Kürze der ihm verbleibenden Zeit bis zur Beinah-Inhaftierung darauf herumzukauen wie eine Allgäuer Kuh auf einer Portion aufgestoßenen Huflattichs. Es war aber auch zum Kotzen. Da waren wir mal grad zwölf Minuten über der Zeit, den Stadtkern automobil zu räumen, und schwupp-di-wupp hatten sie uns an der Kandare. Die Bierfahne indes spielte dabei gar keine Rolle, das gehörte wohl zum guten Ton. Beide sprangen wir aus dem Auto, damit sich unsere Ausdünstungen schnell in Luft auflösen konnten, andere Dinge dies aber nicht taten. Im Gegenteil wurde die Luft immer dicker! Es sei bereits nach 18 Uhr und somit dürften hier keine Autos mehr fahren. Gut, das hatten wir am Nachmittag schon den Schildern entnommen, bloß jetzt blöderweise vergessen. Und obwohl sich Täter wie Richter nicht nur hervorragend verstanden hatten ohne auch nur ein einziges Wort der jeweiligen Sprache zu sprechen oder zu verstehen, sondern auch den allergrößten Spaß miteinander hatten – Strafe musste sein! Da wollte der doch glatt Jörgs Führerschein einbehalten und uns „bitten“, morgen früh bei ihm auf der Polizeiwache vorbeizukommen, um zehn Mark Wechselgeld abzuholen. Die Buße betrug nämlich exakt 20 Euro. Oder eben 40 Bosnische Mark. Und wir hatten nur einen 50-Mark-Schein … 🙂 Irgendwo kramte er dann noch ein bisschen Münzgeld in seiner Hosentasche hervor … Der Rest war dann Trinkgeld!

„Da fliegt dir doch das Blech weg …“ 🙂

 

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Picknick am Autoput

Wer kennt ihn nicht, den berühmt berüchtigten Autoput von Zagreb nach Belgrad. Eigentlich wollten wir diese Route nie und nimmer fahren, waren wir doch eher auf Gemütlichkeit und Beschaulichkeit aus. Aber so lässt sich’s einfach nicht in der Zeit so weit kommen, wie wir uns das vorgenommen haben. Also Augen zu und durch und erst mal Strecke machen! Oder erst mal rein nach Zagreb. Denn bislang lief’s verdammt gut und der Hauptstrom floss Richtung Meer und Split ab.
Zagreb war Hölle unter der diesigen Dunstglocke; immer wieder Nieselregen und ständig Dieselabgase irgendwelcher „nostalgischer“ Autos und Lastwagen der Marke „Yugo uralt“.
Dann endlich durch, verlief die Fahrt eigentlich locker flockig. Oder einfach deprimierend, dröge und langweilig?
„Polje“ heißt „Feld“, und „Feld“ bedeutet bekanntlich „flach“. Oder einfach topfeben. Und jedes dieser Felder um Zagreb und Umgebung hat einen Vornamen. Wie bei Kißlegg das Hasenfeld eben (das hier Zec Polje heißen würde). So tuckerten wir also durch sämtliche Poljes des serbokroatischen Wortschatzes und Tierreiches und waren einfach nur desillusioniert ob dieser Ödnis. Denn unsere Reise im vergangenen Jahr war weder von Regen begleitet, noch von solcher Hässlichkeit. ABER! Und darüber waren wir informiert! Der Autoput hat rein gar nix mit Road-Movie-Romantik zu tun, noch könnte Sonnenschein von all seiner schäbigen Tristesse ablenken. Vielmehr war das für die längste Zeit die allergrößte Ganovenmeile über den Balkan. Von dem her gab es also gar nicht so vieles zu beanstanden. Und der reinwaschende Regen war sozusagen der passende Begleiter auf dieser Etappe.
„Ey Läudde, da steig ich jetzt echt nicht aus!“ Jawoll, das waren die Worte einer unserer Töchter, die längst zu jener Generation gehören, welche alle Menschen (vormals auch als Mama und Papa bekannt) nicht mehr mit „Altahh“ (geschlechtsneutral!) ansprechen, sondern neuerdings zu „Läudde“ machen. (Und wem kümmert dabei schon der Akkusativ? 🙂
Als neue „alte“ Eltern haben wir also den Rastplatz mit dem abgefackelten Restaurant, der runtergekommenen Tankstelle, dem versifften und von besseren Zeiten (oder noch schlechteren?) träumenden Klöhäusle, dem komplett zugemüllten Parkplatz sowie dem beißenden Odeur von Urin, das beim Aussteigen unmittelbar die Nasenschleimhäute zu verätzend drohte, abgesehen und haben den nächst besseren angefahren …

Der aber kam nicht …

Jörg hatte recht. Es könnte von nun an wirklich nur noch besser werden. Allerdings nicht unmittelbar. Bevor uns der Autoput so richtig in seinen Bann zog, schafften wir es, die Kurve Richtung Banja Luka zu kriegen. Und siehe da! Autobahn runter – Landstraße rauf, verlief das Reisen wieder in erstaunlich geregelten Bahnen. Den Wohnwagen im Schlepptau, steuerte ich unser Gespann einmal quer„polje“ein, und wir konnten sogar dem „großen Feld“ etwas Schönes abgewinnen. Die Sava, der Grenzfluss zu Bosnien, ist zumindest so eine Landmarke, die einen doch tatsächlich mit ihrer Anmut in ihren Bann zieht.
Aber dann, apropos Bann: Der Fluss war auf einen Schlag gebannt. Zumindest der Autofluss, und das durch den Schlagbaum. Unvermittelt standen wir zirka zwei Kilometer vor der Grenze zu Bosnien und damit vor zirka zwei Stunden Wartezeit.
„Nein, schön finde ich die Sava jetzt echt nicht mehr, wenn die so einen Aufruhr verursacht“, war es Jörg, der ansonsten recht ruhig alles zur Kenntnis nimmt und eigentlich immer das Beste daraus macht – aber jetzt Vergleiche zum Ruhrgebiet zieht (denn der Grenzort Nova Gradiska hatte durchaus vergleichbares Potenzial). Jetzt aber gab es keine Wahl mehr zwischen Bestem und Zweitbestem. Es war einfach richtig besch … Wir standen in der Schlange, dann waren wir endlich an der Reihe und nach 118 weiteren Kilometern über Banja Luka schließlich durch den zauberhaften Vrbas-Canyon, der auch bei Regen seinen Zauber nicht verliert, ziemlich erschöpft im bosnischen Jajce angelangt. Unserem ersten richtigen Etappenziel, das wir bereits im vergangen Jahr mit seinen vielen Hunden kennengelernt haben … Aber das war eine andere Geschichte.

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Wir sind dann mal weg!

Was sich aus unseren Schlussfolgerungen bezüglich der Staumeldungen des zu Ende gehenden Wochenendes entwickelt hatte, zeichnete sich schon in München als eine sehr gute Entscheidung ab. Nämlich unsere Abfahrt auf Sonntagnachmittag zu vertagen. Den Stau am Mittleren Ring deutete lediglich Marlene im übertragenen Sinne mit einem Seitenhieb in meine Richtung, aber ansonsten war da schlichtweg keiner! 🙂 Auch Salzburg und den Tauerntunnel locker gepackt, floss der Verkehr nicht weniger flüssig, so, wie auch der Regen. Wobei der nicht nur floss, sondern regelrecht strömte … Kann ja auch nicht jede Reise so beginnen, wie die im vergangenen Sommer.
„Ab jetzt kann’s nur noch besser werden“, waren Jörgs Worte, als wir um zirka 22 Uhr den Caravanstellplatz in St. Michael im Lungau erreichten.
Der nächste Morgen war weder klar noch warm und obendrein stand neben unserem Bett eine gewaltige Wasserlache. Nein, nicht doch … „Honi soit qui mal y pense“ … 🙂
Nach langen und ernsthaften Überlegungen und einem kurzen Indizienprozess schob ich dieses Malheur kurzerhand auf das undichte Heckfenster, das am Abend vor der Abfahrt, ein paar Bieren bei Dreas und einem Regenguss in der Gallusstraße einfach nicht geschlossen wurde. Punkt.
Besser jedoch wurde es damit noch nicht gleich. Auch nicht trockener … Aber gut Ding will bekanntlich Weile haben.

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Good bye, Gallusstraße

Zugegeben, das Auto ist neu, die Idee nicht mehr so ganz. Und unser Wohnwagen, der ist so richtig alt und feiert in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag. Gehört somit schon fast zu den Oldtimern unter den Rolling Homes. Und obwohl unser alter Golf, das tapfere und unermüdliche Dieselross, diese Reise nicht mehr mit uns antreten wird, weil er einem neuen Mercedes gewichen ist oder besser gesagt, dieser Karosse einfach nicht gewachsen war (gut, Paula, meine Große, hatte sich im Kräftemessen geübt), war die Idee bereits im vergangen Jahr kurz nach unserer Heimkehr aus „Balkanien“ geboren. Bleibt also zu hoffen, dass unser neuer „Mitschuh“ ihn gebührend vertritt …

Was damals – einmal quer über den Balkan bis in den Norden Albaniens – für Viele ein absolutes No-Go war, fand heuer rasch in den Gemütern mancher alten Zauderer eine neue Nische. Grauenhaft, unkomfortabel, dreckig, heiß, ärmlich … einfach dumm, dirty und draufgängerisch waren nur einige der Adjektive, die dieses Unterfangen untermalen sollten. Immerhin wurden wir seit geraumer Zeit und seit unserer Bewährungsprobe nicht mehr für komplett verrückt erklärt, was unser „neues“ Reiseziel anbelangt, das uns nun über teilweise altbekannte Routen einmal mehr über „Balkanien“ bis in den Süden Albaniens führen soll.

Die Schriftstellerin Mary Edith Durham hat’s als eine der ersten allein reisenden Damen Ende des 19. Jahrhunderts bereits vorgemacht und mit dem Klassiker „High Albania“ ein schillerndes Kaleidoskop eines Landes erschaffen, das ihr auf diesem Trip ganz besonders an’s Herz gewachsen ist. In Anlehnung an dieses Opus Magnum und auf den Spuren Marys wollen wir nun morgen aufbrechen und uns frei nach Gusto und Bauchgefühl (das sich so kurz vor Abfahrt übrigens als äußerst flau erweist) über Slowenien, Kroatien, Bosnien und mitten durch Montenegros grandiose Bergwelt mit viel Zeit im Gepäck nach Albanien leiten lassen. Vielleicht führt uns ein Abstecher nach Mazedonien, in dieses kleine unbekannte Land, das für uns bislang nichts als ein weißer Fleck auf der Landkarte darstellt. All das wird sich im Laufe der „erfahrenen“ Strecke mit all ihren Unwägbarkeiten ergeben und situationsabhängig entschieden, immer unter der Prämisse der politisch halbwegs sicheren Lage. Denn so ganz fern der Krisengebiete werden wir uns wohl nicht immer aufhalten. (Alternativ könnten wir somit auch nach Frankreich fahren oder einfach zu Hause bleiben …)

Ob wir es binnen eines Zeitraumes von zirka fünf Wochen tatsächlich schaffen werden, mit unserem Wohnwagen-Gespann das südliche Butrint an der Grenze zu Griechenland und gleichzeitig das albanische Arkadien zu erreichen, das steht zum einen in den Sternen, zum anderen unter den Vorzeichen des gutgesonnenen Halbmondes. Aber wenn wir eines bereits gelernt haben, dann waren es nie Etüden über das Manifest irgendwelcher Konfessionen oder Glaubensbekenntnisse und schon gar nicht Lehrstücke von Menschen, die ihre religiöse Weltanschauung doktrinär verströmen. Ganz im Gegenteil lehrte uns auf unserer Reise im vergangenen Jahr nicht nur ein ganzes Volk allergrößte Gastfreundschaft, selbstverständliches Miteinander, uneingeschränkte Toleranz und verblüffende Weltoffenheit, was schon Lord Byron mit diesen Worten beschrieben hat: „Während sich der eine als Christ bezeichnet und der andere als Moslem, bezeichnet sich der Albaner einfach als Albaner.“

In diesem Sinne sage ich als polyglotte Allgäuerin:
Good bye, Gallusstraße!
Hi, Albania!
Pfiagott und Mirëdita!

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