Kleine Bunkerkunde

Ein paranoider Diktator, vier geklaute russische U-Boote, siebenhundertfünfzigtausend kleine und mittelgroße sowie ein riesiger U-Boot-Bunker. Alle davon freilich konnten wir in den letzten zwei Tagen nicht zu Gesicht bekommen; den einen nicht, weil der seit 1984 tot ist, die hunderttausend nicht, weil die gegen Ende des kommunistischen Regimes unter Enver Hoxha nicht mehr fertiggestellt wurden. Aber unmittelbar vor dem Eingang des größten und schauderhaftesten sind wir gestern gestanden; und unzählige putzige kleine haben wir heute beäugt, besessen und belagert.

Die Albaner nennen sie liebevoll „Bunkeri“, und längst wird sich auch der letzte zur Sentimentalität neigende Retro-Kommunist, der noch einen winzigen Funken Sympathie für den gescheiterten Arbeiter- und Bauernstaat hegte, mit der im Keim erstickten Tatsache abgefunden haben, dass diese kleinen Pilzköpfe in der Landschaft zu nichts anderem mehr dienen, als dem Land irgendwie ein pickeliges Gesicht zu verleihen. Aber ach was – sie hatten noch nie zu etwas anderem gedient. Denn der Feind, vor dem man sich fürchtete, kam einfach nicht. Vielmehr war man erst mal gut Freund. Zunächst mit der UdSSR, dann mit China … bis das „Spiel“ eben kippte und man nicht mehr miteinander „spielen“ und partizipieren wollte. Und Albanien in völliger Isolation und einer Art Steinzeitkommunismus gestrandet ist und wirtschaftlich am Abgrund stand.

In Zeiten der Freundschaft indes baute das kommunistische Regime mit Hilfe der Russen Porto Palermo zu einem geheimen U-Boot-Hafen aus. Bis eben der Freund zum vermeintlichen Feind wurde, dem noch schnell vier U-Boot geklaut und sicher im neuen Bunker verwahrt wurden …

Wir haben uns also gestern und heute mit der albanischen Vergangenheit beschäftigt. Zunächst war diese Vergangenheit weit, weit zurückliegend. Nämlich in der Zeit der schillerndsten aller albanischen Herrscherfiguren: Ali Pascha und seine Burg in Porto Palermo. In selbigem „Porto“, der seit der Belagerung der Italiener im 2. Weltkrieg diesen Namen trägt und einen so gewaltigen wie tiefen Naturhafen in einer geschützten Bucht darstellt, entstand in den 1970er Jahren dieser geheime U-Boot-Bunker. Ein 650 Meter tief in den meerseitigen Berg gesprengter Schlund sollte Platz bieten für diese vier U-Boote, die somit unbehelligt verschwinden konnten. Das ganze Gelände ringsum war bis 1997 weitläufig als militärisches Sperrgebiet ausgewiesen. Die „Straße“, führte im großen Bogen über die Berge, die umliegenden Gebirgshänge waren und sind immer noch von zahllosen kleinen „Pickelchen“ übersät. Mal global betrachtet …

Wie es heute innerhalb dieses Höllenschlundes aussieht, darüber lässt sich rein gar nichts erfahren (auch nicht im Internet), und scheinbar wird das auch immer noch geheim gehalten.
„Wir könnten eigentlich unten rein tauchen“, war Jörgs Vorschlag, als wir direkt vor dem martialischen Portal standen. Wieso wir da überhaupt standen, mag sich Mancher fragen; und wir uns im Nachhinein auch.
„Komm, wir klettern da runter, da kommt man irgendwie hin“, forderte ich zu dieser Expedition auf, als wir von oben auf den fast menschenleeren Strand blickten.
„Warum hat’s hier keine Touristen? Das ist ja doch ein ziemliches Spektakel“, warf ich die verwunderte Frage auf. Am Strand unten lagerten ein paar Männer, die uns recht interessiert musterten, als wir schnurstracks losmarschierten, bis wir vor dem gewaltigen Gate standen davor zwei Boote der Albanischen Navy „parkten“. Alles in allem war die Atmosphäre so schaurig-gruselig wie faszinierend-fesselnd zugleich.
„Ui, schau mal, hier ist Fotografieren strengstens verboten“, entdeckte Jörg eine Tafel (nachdem die Speicherkarte schon am Dampfen war).
„Pfffff, das haben wir einfach nicht gesehen …“ Klick, klick, klick …

Auf dem Rückweg kamen uns zwei dieser „Beachboys“ entgegen, die sich recht schnell zum Albanischen Militär zugehörig erwiesen und uns überaus freundlich darauf aufmerksam machten, dass dies hier eine Militär-Basis sei.
Wir würden uns sofort vom Acker machen, sagte ich erschrocken.
„Oh, it’s not a problem, don’t hurry“, hielten sie uns von einem übereilten Aufbruch ab …

Deshalb also keine Menschen, die diesen Ort besichtigen wollten 🙂
Heute gingen wir die Bunker-Erkundung etwas gezielter an, vor allem aber im Kleineren. Um nicht zu sagen, im ganz Kleinen. Der Bunker des kleinen Mannes misst gerade mal eine Höhe von 1,80 Meter und sieht in der Landschaft aus wie ein Schildkrötenpanzer. Das Standard-Modell, behauptet Jörg, sei der schlichte Ein-Mann-Bunker. Reihenweise liegen diese „Schildkröten“ in der Landschaft herum, und waren doch einfach für die Katz. Vornehmlich exponierte Gebirgshänge gelten als „Lebensraum“ dieser Spezies an Kriechtieren; aber auch direkt am Meer, am Strand, in der Stadt, einfach überall sind diese Betonmonster zu finden. Wir suchten sie heute in den Bergen. Und dieser Weg führte uns über die alte „Umgehungsstraße“ hinter Porto Palermo mitten in die albanische Gebirgswelt.
Grundsätzlich wandert der Albaner nicht, noch nicht einmal gibt es im albanischen Wortschatz einen Ausdruck dafür. Wir mussten tatsächlich ein merkwürdiges Bild abgegeben haben, als wir nach sehr abenteuerlicher Fahrt über Stock in Stein in dem klitzekleinen Bergdorf am Dorfplatz das Auto abgestellt haben. Die Männer um den Dorf-Rrapi grüßten uns neugierig, freuten sich, dass wir den Weg hier hochgefunden haben.
Ob uns ihr Dorf denn gefiele, fragten sie interessiert, und waren sichtlich glücklich darüber, dass wir ihrem Anger, den sie gerade im Begriff waren, zu pflastern, unsere Ehre erwiesen. Rucksackbewehrt und mit schwerem Schuhwerk wanderten wir los über eine zauberhafte Hochebene voll archaischer Anmut. Schafherden, wilde Macchia, Salbei, Eisenkraut, ausgedehnte Farnwälder, Kork- und Steineichen, Olivenhaine, Ackerflächen, immer wieder tief ins Erdreich gemauerte Zisternen, die von einer jahrhundertealten Kulturlandschaft zeugen. Und dazwischen Bunker, Bunker und nochmals Bunker. Als ob sie über die Jahrhunderte der Siedlungsgeschichte einfach so mitgewachsen wären …

Den obersten mit der schönsten Aussicht weit über Korfu hinaus auf all die kleinen griechischen Insel-Trabanten wählten wir aus, um unser Lager aufzuschlagen – und damit eine neue Seite in unserem Lehrbuch über dieses Land, das mit einer landschaftlichen Schönheit aufwartet, wie wir sie noch nie gesehen haben, uns mit einer Geschichte und Kultur konfrontiert, die uns bislang völlig verschlossen war und von Menschen bewohnt ist, die unvoreingenommen jeden mit „Miresevini!“ begrüßen. „Herzlich willkommen!“

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Shën Dyshek Kashte

„Shën“ heißt auf albanisch heilig, und die ganze Litanei aller mir bekannten Heiligen habe ich gestern zitiert und flehentlich um Hilfe gebeten. Der meist gerufene unter meinen gestrigen Heiligen war „Shën Dyshek Kashte“, auch als „Heiliger Strohsack!“ bekannt. Mein heimlicher Lieblingsheiliger aber war ganz klar „Shën Christophoro“, der Heilige Christophorus. Denn mit jedem Höhenmeter, den wir zurückgelegt haben, wurde der Wohnwagen schwerer und schwerer, und der Mitschuh ist ganz schön in die Knie gegangen. Bis er eben (beinah) nicht mehr konnte …

Als morgens um sieben die Welt noch in Ordnung war und wir damit begonnen hatten, unseren ganzen Kruscht und Krempel wieder reisefest zu machen, wussten wir zwar, dass es diese Etappe in sich haben würde, aber wir wussten nicht, wie sehr. Zugegeben, es war dies die Königsdisziplin im Wohnwagenreisen … wenn da mal nicht noch die kaiserliche Variante folgen wird …

180 Kilometer schienen zunächst nichts Außergewöhnliches an sich zu haben. Eigentlich ein Klacks bei unserem gewohnten Reiseverhalten. Drei, vier Stunden, den Straßenzuständen zufolge nochmals eine Stunde Zugabe eingeräumt.
„Albanien ist so ein kleines Land, da kommt man locker in zwei Tagen durch“, sagte ich tags zuvor noch launisch zu Jörg. Das sagt aber nur derjenige, der dieses Land lediglich auf der Landkarte abgefahren ist. Teilstücke indes immerhin auf Google Earth. In Echt ist das nur dummerweise (oder zum Glück!) anders.
Folgt man Tourismus-Studien und -Umfragen, „erkundet“ die Mehrzahl der potentiellen Gäste eine Urlaubsdestination zunächst aus der Luft, sprich: auf Google Earth. Verbringt der „Gast“ zu viel Zeit in diesem vermeintlichen „Holiday-Cyberspace“, erliegt er der Illusion, diesen Ort bereits bereist zu haben. Und hakt ihn ab unter der Kategorie: „Gesehen und erlebt“.
Auch mir passiert das. Zwangsläufig. Aber weder der Llogara-Pass noch der ganze albanische Süden ist topografisch noch geografisch eruierbar. Straßenverläufe auf der Karte lassen sich zwar „nachvollziehen“, aber niemals wirklich nachvollführen. Zumindest nicht für ein Wohnwagengespann. Und so sind wir also fern jeglichen touristischen „Sachverstands” losgezogen, um das Serpentinenfahren zu lehren.
Es fing harmlos, oder vielmehr sehr zäh an …

Nach Fier, was zumindest als verkehrsstrategisches Vorzimmer zum Fegefeuer gelten konnte, erreichte mit dem zähen Lavastrom erhitzter albanischer Karossen der Verkehrsfluss die wahre Wirkungsstätte des trafik-terministischen albanischen Beelzebubs: Vlora. Gut, ich hab’s geschwollen formuliert 🙂 Wolfgang Petri würde populistisch grölen: Hölle! Hölle! Hölle!
So was habe ich echt noch nie erlebt! Chaos ist gelinde ausgedrückt, aber alles floss. Was mitunter den unzähligen Verkehrsreglern und Polizisten geschuldet und gedankt sein musste. Erstaunlich, wie es das konnte. Dreispurig, vierspurig, dann instantan wieder einspurig; durch Baustellen, innerstädtisches Gewusel, Engpässe, Kreisverkehre … Hupen, pfeifen, winken, fuchteln … Es war ein Chaos, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.
„Tsss, du warst noch nie in Indien“, war einzig Jörgs schmunzelnder Kommentar.
„Wie denn auch? Mit dem Wohnwagen!“, konterte ich.
Aber eigentlich war es nicht zum Lachen, sondern einfach zum Luftanhalten. Nicht nur der Enge wegen, sondern auch des Gestankes.

Noch ein ganzes Stück am Meer entlang, dann endlich rein ins Gebirge, das sich unmittelbar vor uns gewaltig auftürmte. „Heiliger Strohsack! Da müssen wir irgendwie hoch und auf der anderen Seite wieder runter“, sagte ich mehr zu mir selbst. Meine Nerven lagen ohnehin schon blank, ich befürchtete allerdings, dass diese Etappe nicht unbedingt zu meiner Entspannung beitragen würde. Und wie recht ich doch haben sollte …
Der Anstieg zum Llogara-Pass lief zunächst gut an, die Steigung war machbar, die Straße breit genug. Abenteuerlich schraubten sich die Serpentinen nach oben. Jetzt bloß nicht aus dem Schwung kommen … Bis ein LKW im Schneckentempo vor uns her kroch und uns ausbremste. Der Rest lässt sich bildlich ausmalen, und ich will auch gar nicht weiter ausführen, wie’s dann weiter ging. Eben gar nicht mehr!

Komischerweise – und wenn ich auch sonst unglaublich nervig sein kann – in echten Krisensituationen bewahre ich einen erstaunlich kühlen Kopf. Also raus aus dem Auto, das in einer engen Kurve am Berg hing und nicht mehr von der Stelle kam (zumindest nicht nach oben), den Verkehr von unten aufgehalten, die oberen durchgewunken, dann oben „abgesperrt“, die unteren vorbeigewunken, dann auch unten „abgesperrt“, und Jörg konnte mit dem ganzen Gespann ein weites Stück zurückrollen und großzügig ausholen, um nochmals Anlauf zu nehmen. Und siehe da … es klappte! Ich hab mich schließlich zu einer albanischen Familie ins Auto gezwängt (albanische Autos sind grundsätzlich mit zu vielen Personen „bemannt“) und Anweisungen erteilt, es gelte nun den Wohnwagen zu verfolgen, der nicht mehr anhalten könne, bevor nicht die Passhöhe erreicht sei.

Puh! Rauf ging ja noch … Aber runter! Noch nie habe ich die Wohnwagenbremse so winseln gehört, und mich selbst so jammern … Ich war ziemlich am Ende. Da konnte die atemberaubende Aussicht aufs Ionische Meer auch nichts mehr ausrichten. Über Berg und Tal sind wir weiter der Küste entlang gejuckelt, stets mit der bangen Frage: Packt auch diese Steigung der Mitschuh noch? Und zum ersten Mal haben wir an Kapitulation gedacht. „Glaubst Du, wir sollten zurück die Fähre von Igoumenitsa nehmen?“, fragte ich Jörg. Zumindest zog auch er diese Überlegung zum ersten Mal in Betracht. Aber nur für einen ganz kurzen Moment im Zustand seiner sichtbaren Erschöpfung.
„Etzt losst erst amoi dös Bier sock’n, dann sicht die Woid scho wieda onders aus“, meinte der Österreicher, den wir vor zwei Tagen schon am Kamping Ohne Namen getroffen hatten, als wir endlich am Camping namens „Kranea“ am Livadh Beach angekommen sind.
Nicht nur das Bier, sondern dieser Platz und diese Landschaft entschädigen für alles und lassen jede Anstrengung sofort vergessen …

Um mich meinem lieben Kollegen Holger anzuschließen, die Albanische Riviera sei im Ranking der sehenswertesten Reiseziele ganz weit vorne in den Top-Ten, kann ich nur sagen: Stimmt unbestritten! Aber: Ey Läudde! Schmeißt einfach das Zelt in den Kofferraum und lasst um Gottes Willen den Wohnwagen daheim! Es sei denn, ihr seid verrückt oder so camping-fanatisch wie wir; mit Kind und Kegel unterwegs, Surfbretter und Kiteschirme im Gepäck, die Fahrräder auf dem Dach, beziehungsweise auf der Deichsel. Und es sei denn, ihr möchtet ein Stück Heimat mit in die Fremde nehmen oder aber einfach oben auf dem Llogara-Pass angekommen einmal ganz laut „Yes, we can!“ rufen.
Und wenn es denn so sei, dass ihr das Abenteuer genauso liebt, wie wir, dann fahrt in Gottes Namen mit dem Caravan los! Das wird schon! Es braucht Zeit, Geduld, Langmut, viel Zuversicht, eine Hochdosis Glück und Nerven ohne Ende. Aber es wird. So gut, dass auch euch der „Shën Dyshek Kashte“ überall hin begleiten wird. Und wenn es nur aus jenem Grund ist, dass dieses Abenteuer endlich einen neuen Namen bekommt.

 

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Albanisches Hexenblut

„Mjeku“ heißt auf Albanisch Doktor. Und in diesem Fall ist einfach nichts zu erreichen mit Englisch, Italienisch, Französisch. Das wissen wir jetzt auch. Dass „Farmacji“ Apotheke heißt, ist dagegen eine einfach Übung. Und deshalb haben wir uns auch für diese Lösung entschieden. Denn das nächste Krankenhaus, das übrigens einfach nur „Spitali“ heißt, wäre in Tirana gewesen. Und dieser Aufwand wäre dem Grund gemäß verhältnismäßig übertrieben gewesen.
Mein „bosnischer Fuß“ war also „Corpus hinkus” unserer Suche, was bedeutete, die Verletzung an meiner Ferse, die auf einen missglückten Sprungversuch von einem Baumstamm zurückzuführen war, war dabei, sich immer weiter auszubreiten, zu entzünden und immer größere Schmerzen zu verursachen. Ich war am Hinken, und das seit Tagen. Nur über dem 24-Stunden-Virus hatte ich das mal für kurze Zeit vergessen.

Durchaus ein Erlebnis ist das vormittägliche Fahren und Schlendern durch eine albanische Kleinstadt. Wohlgemerkt an einem ganz gewöhnlichen Wochentag. Unter dem Dorf-Rapi, also der Dorflinde (oder anderen Bäumen) sitzen so zahllose wie zahnlose Männer und spielen. Stundenlang. Ach was, vermutlich tage-, jahrelang. Schon immer. Schach, Domino, Back Gammon, Karten, alles, was sich dazu eignet, die Zeit zu vertreiben. Nebenbei wird Handel betrieben; altes Klumpp wartet liebevoll sortiert und ausgebreitet am Straßenrand auf neue Besitzer. Auch das vermutlich schon ein oder mehrere Leben lang. Aber diese Besitzer wollen sich partout nicht einfinden. Denn wer will schon einen Bleistiftspitzer aus Zeiten des Kommunismus kaufen samt eines stumpfen Bleistiftes, der rein optisch schon zum Aufzeichnen feindlicher Übergriffe zu Zeiten Enver Hoxhas gedient haben musste. Wo sich noch nicht einmal der Feind einfinden wollte … Aber wen kümmert’s? Es wird gegrüßt, es wird gewunken, und wo wir zunächst nur aus der Ferne beobachtet wurden, rief man uns alsbald freundlich herbei. Neben dem Dorf-Rapi scheinen grundsätzlich auch mehrere Apotheken zu grünen …
Apotheken sind also schnell gefunden, so schnell, wie Ärzte langsam oder gar nicht. Und war die Ferse des Anstoßes erst einmal eingängig beäugt, waren auch schnell probate Mittelchen, Anweisungen und Ratschläge gefunden wie getroffen. Eine Anweisung davon lautete: Fuß hochlegen und einfach mal ausruhen. Jetzt leg dich mal hin, nachdem du bereits vor zwei Tagen schon einen ganzen Tag lang gelegen hast, weil schlichtweg ausgeknockt von einem K&K-Virus. Nicht mit mir! Ich war ja schließlich nicht krank! Den Fuß also nach sprachlich absolut inkompatibler aber unglaublich bemühter und rhetorisch grandios untermalter Anweisung der Apothekerin von Jörg verarztet mit dem albanischen „Hexenblut“ – Salbe und Pflaster dick drauf und drüber … und eigentlich wollte ich nur an den Strand „ums Eck“ radeln (denn laufen war ja „verboten“), der war nämlich viel einsamer, als der am Kamping. Und weil diese Ruhe und Einsamkeit, obendrein die phantastische Kulisse der „morschen Lehmberge“ eine scheinbar magische Anziehungskraft zu haben schienen, sind wir am Strand entlang immer weiter und weiter und weiter geradelt. Über Stock und Stein und über kilometerlange menschenleere Strände. Baden war natürlich obligatorisch. Der Verband würde schon halten …

Die Kinder indes wollten alleine mit dem Fahrrad ins Dorf zum „Einkehren“. Weil es dort Eis gab. Zumindest gestern. Heute gab es kein Eis mehr, also haben die beiden beschlossen, in der Straßenbar eine Cola zu trinken. Und da mir nicht ganz geheuer war, dass die beiden mutterseelenallein über staubige Schotterpisten kreuz und quer durch das rurale Albanien radelten, wollte ich zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Wären die „lehmigen Berge“ nicht so verlockend gewesen … Irgendwo am Strand sind wir auf einen einsamen österreichischen Offroadler aus Gmunden getroffen. Und nur mal so am Rande: Wenn wir das, was wir bis jetzt erlebt haben, bereits als Abenteuer bezeichnen, dann muss vermutlich für das, was der uns erzählt hat, erst noch ein Wort gefunden werden.
„Wenn er da runter gekommen ist, dann kommen wir da auch irgendwie hoch“, zeigte sich Jörg zuversichtlich, und ich war, trotz meiner Abneigung gegen die modernen Navigationsmöglichkeiten, ein klein bissle froh, GPS-Daten auf dem Handy zu haben. In Sandalen, in Badehose und Bikini, mit lehmig-klitschigen Füßen haben wir also zu dieser unplanmäßigen Bergetappe angesetzt. Grandiose Aussichten, schweißtreibende Steigungen, völlig falsches „Material“ 🙂 , Wildnis, Wildnis, Wildnis … Und wir wollten doch eigentlich nur an den Strand …
Der Fuß schmerzt heute Abend gewaltig (wen wundert’s); Jörg hat ihn neu verarztet, das albanische „Hexenblut“ wird hoffentlich helfen; morgen brechen wir auf zu einer weiteren Etappe an’s Ionische Meer. Mehr Worte will ich darüber noch gar nicht verlieren, bin eher ganz kleinlaut, wenn ich an diese gewagte Mission denke. Und wer weiß, ob wir sechs, ergo wir vier, der Mitschuh und der Wohnwagen diesem Trip überhaupt gewachsen sind. Das Glücksschwein ist gesattelt und für unser „Abenteuer“ werden wir schon noch ein neues Wort finden …

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Kamping mit Nebenwirkungen

Langsam werden wir zu echten Off-Roadlern. Zumindest dachte ich das, als ich heute Nachmittag die holprige Naturpiste mit meinem Centurion-All-Rad hochgestrampelt bin, die wir zwei Stunden zuvor mit unserem Gespann hochgeschnaubt und gejuckelt sind. Beziehungsweise musste ich ab der Mitte schieben …
„Hätte das der Golf auch gepackt?“, fragte ich Jörg. Hätte er vermutlich nicht! Denn wenn nicht am Boracko Jezero, dann wären wir spätestens hier hängen geblieben. (Aber ich glaube, ohne den Mitschuh wären wir so weit erst gar nicht gekommen …)
Nun stehen wir also hier direkt am Meer (sauschön!!!) am Kamping Pa Emer, was soviel heißt wie Camping Ohne Namen, an einem Ort, dessen Namen wir nicht wirklich aussprechen können, wie überhaupt die Namen der meisten Orte. Und von dem Leben wir auch wenig bis gar nichts verstehen. Von daher scheint der Name gerade passend.
Namen sind ohnehin Schall und Rauch, und so haben wir uns heute Nachmittag einfach irgendwo im Nirgendwo mitten in diesem Dorf am Straßenrand auf ein paar Stühlen niedergelassen und voller Staunen dem albanischen Weltenlauf im Kleinen bei seinem Fortschreiten zugeschaut.
Jeder freute sich an uns, allseits wurde mit einem freundlichen und ebenso neugierigen „Hello!“ gegrüßt. Der Schafshirte mit seinen acht Schafen ebenso wie der Junge mit seiner einzigen Kuh. Die Buben auf ihren alten Fahrrädern, die Dorfjugend mit dem Handy in der Hand, und auch der vorbeifahrende Mercedesfahrer winkte uns aus seinem Auto zu. Und eigentlich waren wir nur auf der Suche nach einem Laden ohne Namen …

Wir sind ein Stück weiter südwärts gezogen und nach erstaunlich entspannter, wenngleich längst gewohnt chaotischer Fahrt durch Tiranas Hafenstadt am Meer gelandet. Nach kurzfristiger Routenänderung haben wir beschlossen, unsere Tour anders rum anzugehen. Das Wetter hat uns gewissermaßen dazu gezwungen, beziehungsweise trauten wir dem Frieden in den Bergen und in Mazedonien noch nicht so ganz, hatte doch das Unwetter am Sonntag in Skopje 14 Todesopfer gefordert und die Gebirgsgewitterlage war immer noch nicht ganz gebannt. Also erst Meer, dann Berge, dann Ohridsee. Aber auch das steht noch in den Sternen nach den heutigen Erzählungen einer Tschechischen Motorradfahrergruppe, die sämtliche Strecken bereits abgefahren sind und uns die Straßenzustände eindrücklich beschrieben haben …
Heute morgen also haben wir uns von Nico am Shkodra-See verabschiedet, nachdem wir am gestrigen Tag (also Jörg und ich) der Maladie der Kinder erlegen sind. Um nicht zu sagen, wir haben gek… wie die R… Also einfach einen Tag lang Liegestuhl und dösen und schlafen.
In diesem dösenden Dämmerzustand trat am Nachmittag ein Mädel zu mir an mein „Krankenbett am Strand“, schätzungsweise 25 Jahre alt.
„Gell, du hast den Blog geschrieben?“, sagte sie überzeugt.
„Hä?“, zeigte ich mich zunächst völlig konsterniert. „Woher weißt du von diesem Blog?“, richtete ich mich langsam halb wachend, halb träumend aus meiner Liegestatt auf.
„Wir haben dein Buch mit dabei. Und einzig aus diesem Grund sind wir hier. Hi! Ich bin Elisabeth.“
Wie sie von diesem Buch erfahren hätten, fragte ich. Und wie sie überhaupt darauf gestoßen seien.
„Ach, das haben wir im Buchladen bestellt, als wir darüber im Internet erfahren haben. Und jetzt sind wir von Nürnberg aus hierher gefahren.“
Auf die Frage, warum sie denn so sicher gewesen wären, dass wir das sein mussten, sagte Elisabeth:
„Es waren die beiden Kinder, die uns so bekannt vorgekommen sind. Und dann war da der Wohnwagen. Der einzige hier. Mit Friedrichshafener Kennzeichen. Nur das Auto stimmte nicht.“
Jetzt musste ich echt lachen und klärte sie über das neue Zugfahrzeug auf. So, wie ich sie auch darüber aufklärte, heute nicht in Bestform zu sein, da rekonvaleszent.
„Aber ihr wart doch auch letztes Jahr schon alle krank“, gab Elisabeth zum Besten.
Nun, solche „Nebenwirkungen“ bringt halt die Sache des Publishings so mit sich … 🙂

 

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Hi, Albania!

„Welcome back!“, sagt Nico, als wir aus dem Auto steigen und auf ihn zugehen. Und dies mit einem Selbstverständnis, als ob er nur darauf gewartet hätte, dass wir endlich wieder hier aufkreuzen würden. „Everything the same“, sagt er auch. Und in der Tat hat sich hier scheinbar gar nichts verändert, seitdem wir diesen Platz im vergangen Jahr verlassen haben. Die Holzstühle vor seinem Häusle stehen so da, wie „immer“. Er lacht uns an, wie wir es gewohnt sind, die Preise sind exakt dieselben wie letztes Jahr (worauf er ausdrücklich hinweist), der Kellner aus der Strandbar hilft uns beim Rangieren. Auch er war letztes Jahr schon da. Irgendwie ist das wie Heimkommen. Und alles ist irgendwie beim Alten. Bis auf den Müll. Dieses Problem scheint sich in der Tat ein klein wenig verringert zu haben. Und Neues scheint in Gang zu geraten.
Aber der Reihe nach …
Ich habe letzte Nacht geschlafen wie ein Stein. Weder vom Gewitter, noch vom Sturm und auch nichts vom Regen habe ich mitbekommen. Allein die Tatsache, dass mein Bett ein weiteres mal nass war, ließ mit dem weit offen stehenden Fenster den Verdacht aufkommen, dass ein Wetter über die Berge gezogen sein musste. „Es hat geblitzt, dass hier alles taghell war“, klärte mich Jörg am Morgen auf. „Und gedonnert hat es, dass der ganze Wohnwagen gewackelt hat.“ Wie man so tief schlafen kann, war mir bislang schleierhaft. Gestern konnte ich. Ich musste wohl zu erschöpft gewesen sein. Und hatte noch nicht einmal mitbekommen, wie Marlene gekotzt hat. Nicht aus der Hängematte, aber mehrmals aus der Wohnwagentür.
Entsprechend vorsichtig galt es heute morgen, aus der Tür zu treten. Davor tat sich nicht nur wiedergekäutes Forellen-Chutney sowie recyceltes Kartoffel-Crumble auf, sondern vor allem Felsen- wie Wolkengebirge, und ein heftiger Sturm fegte durch die Piva-Schlucht. Es war einfach zauberhaft schön! Bis auf Marlenes Zustand, aber der schien gar nicht so unschön zu sein.
Während der Autofahrt hat sie geschlafen, Handy-Zocke war nicht nötig und auch nach Nintendo wurde nicht verlangt. Ida auch noch etwas wackelig auf den Beinen, verlief die Fahrt von Pluzine über Nicksic und Podgorica absolut entspannt und landschaftlich überwältigend.
Bis auf das letzte Stück ab Podgorica. Im Ranking der hässlichsten Städte Montenegros bereits im vergangenen Jahr auf Platz 1 gewählt, konnte uns nichts mehr schocken. Und der Regen schien irgendwie alles sauberer und grüner gemacht zu haben.
„Sauber!“, äußerte sich Jörg analog, als ich mich mal wieder gegen das Navi entschieden hatte und partout meinen Kopf durchsetzen musste. Wir landeten mitten im Grünen. Oder im Braun-Grau-Grünen. Zunächst führte die Straße noch gerade aus, und auf dem Wegweiser war auch ausdrücklich „Carina“ zu lesen. „Hier steht Tranzit, und das sagt auch das Navi“, wandte Jörg ein. „Blödsinn, ich weiß doch, was Carina heißt. Los, gerade aus, da geht’s zur Grenze!“, war mein „Vorschlag“. Gelinde gesagt.
Wenn ich mich selbst als Beifahrerin hätte, wäre ich schon längst ausgeflippt. Denn wir landeten nicht am Zoll, sondern die Straße irgendwo im Nirgendwo. Abkuppeln oder mit dem ganzen Gespann umdrehen lautete hier die Frage. Die Antwort: „Noch einmal, und du kannst selber fahren! Wenn ich fahre, bestimme ich!“ Und der Fahrer hatte, wenngleich recht holprig und mit mehrmaligem Aufsetzen, die Kurve gekriegt.
Von da an hielt ich mich (zumindest für heute) an Jörgs eisernen Beifahrer-Grundsatz: Si tacuisses, philosophus mansisses.
Um kurz nach zwölf waren wir über die albanische Grenze, und eine halbe Stunde später am Lake Shkodra Holiday Resort.

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150 Pferde und ein Glücksschwein

Gut, dass es immer schlimmer kommen kann. Denn dann ist das vermeintlich Schlimmste gar nicht mehr so schlimm. Wie unsere gestrige Etappe durch die bosnische und später montenegrinische Bergwelt.
Nach der Nachricht von Verena und Hendrik stand für uns also endgültig fest, dass wir den langen Weg über die Treskavica nicht nehmen würden. Als Alternative blieb die Bergetappe zurück über Konjic nach Sarajevo. Die Route „sicherheitshalber“ einmal ohne Wohnwagen abgefahren und jede Ausweichbucht und sämtliche Steigungen gecheckt, waren wir immerhin zuversichtlich, dass dieses Unterfangen nicht ganz hoffnungslos sei.
„Fahrt morgens ganz früh oder abends ganz spät“, war der Rat der beiden Tramper, die wir Tags zuvor mit runter ins Tal genommen haben. Dass Samstag morgens um sieben nicht mehr ganz früh sein sollte, stellten wir schnell fest. Denn es gab vor uns frühere Vögel …
Während Marlene noch schlief, hing Ida ziemlich in den Seilen. Das Gute daran, in den Seilen zu hängen, ist, dass man in diesem Fall einfach den Kopf aus der Hängematte recken muss, wenn einem zum Kotzen ist. Ida war zum Kotzen. Und das schon die ganze Nacht. Entsprechend sah es unter der Hängematte aus … Und entsprechend groß war meine Sorge, dass das Kind ernsthaft krank sein könnte. Das Kraxelmanöver mit dem Wohnwagen über dieser Sorge beinahe vergessen, tuckerten wir also morgens um sieben am Boracko Jezero los.
Kind gut im Wohnwagen gebettet und mit einer großen Spuckschüssel ausgestattet, lief es ganz gut an. Die 150 Pferde unter der Motorhaube ackerten auf Hochtouren, während das Glücksschwein in seinem Blechdösle sein Übriges tat. Es kamen nur wenige Autos entgegen, und wir kamen nicht aus dem Schwung. Nichtsdestotrotz: Ich war ein Nervenbündel. Und ergo nervte ich wohl gewaltig. „Sei endlich still!“, herrschte Jörg mich an. „Du hast jetzt nur eine einzige Aufgabe: nämlich als Gewicht auf der Vorderachse zu dienen.“ Klar, dazu war ich mal wieder recht … 🙂
„Ich muss kotzen“, winselte eine verzweifelte Ida von der Rückbank. „Halt sofort an, sonst verleert sie die Schüssel im Auto“, zeigte ich mich etwas überreizt. Irgendwie haben wir den Scheitelpunkt noch erreicht und auch eine Haltebucht gefunden. Die ganze Fahrerei ließ mich plötzlich ziemlich kalt.
Serpentine um Serpentine wieder bergabwärts dann ein noch größeres Dilemma, das mit dem Magen-Darm-Infekt einherging und einen unplanmäßigen Waschtag auf halber Höhe erforderte, wo eine Quelle aus dem Berg floss …
Irgendwie sind wir unten in Konjic angekommen. Ziemlich fertig, aber gar nicht so sehr wegen der Steigung und der einspurigen Straße. Wir hatten ja genügend Pferde … Und viel Glück.
Es konnte also weitergehen, nur Sarajevo wurde aufgrund des Regens als Besichtigungs-Hotspot ersatzlos gekürzt. Die Stadt mussten wir dennoch passieren, was relativ unkompliziert war, und so haben wir uns Kilometer um Kilometer dem bosnischen Grenzübergang und somit Montenegro von seinem hintersten Zipfel genähert.
Gut zu wissen, dass das „Monte“ in Montenegro nicht von ungefähr kommt. Denn es herrschen überwiegend Berge vor. Und diese Berge lassen kein Bergsportlerauge trocken. Alle anderen heulen vor Glück über diese Naturschönheit. So fürstlich erigiert wie einsam stehen diese Berge da. Sieht man einmal vom Durmitor ab, denn da ist mächtig was los. Bis wir allerdings in diese einsamen Berge gelangen sollten, bedurfte es an Geduld. An sehr viel Geduld.
An Foça im Südosten Bosniens vorbei, waren es „eigentlich“ nur noch zirka zwanzig Kilometer an der Drina entlang bis zur Grenze. Die Landschaft zeigte sich trotz des Regens von ihrer eindrucksvollsten Seite, und die Drina … ja, die Drina, die erzählt voller Anmut ihre eigenen Geschichten und kann ein Lied von Krieg und Frieden singen. Längst reingewachsen fließt sie türkisblau dahin, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Dennoch lässt sie die vielen Toten, die einst von Visegrads Brücke in den Fluss gestoßen wurden und sanft gebettet von ihrem Strom davon getragen wurden, zu Wort kommen, um sie niemals in Vergessenheit geraten zu lassen.
„Das können die doch nicht machen!“, bin ich aus meinem Gedankenfluss erwacht. „Was können die nicht machen?“, fragte Jörg. „Die können doch nicht so eine Straße auf der Landkarte als eine rote kennzeichnen, und jetzt hat die noch nicht mal mehr einen Fahrbahnbelag!“
Doch, das können die. Sehr gut sogar. So, wie die noch viel mehr können. Oder eben nicht. Denn von Fahrbahn konnte längst nicht mehr die Rede sein. Ich wurde mal wieder leicht panisch. Zwar wurde ich das leicht, aber irgendwann fassten die Kinder den Beschluss, mir in der nächsten Apotheke Valium zu besorgen. „Halt jetzt die Klappe und halte einfach die Kamera zum Fenster raus, um das hier zu filmen. Das glaubt uns sonst keiner“, kommandierte Jörg mich ab. Ach, war doch eh grad alles egal, denn ein Zurück gab es nicht. Wohin denn auch? Und ich war wenigstens beschäftigt. Solange, bis schließlich gar nichts mehr ging. Und das ging ziemlich lange. Mindestens zwei Stunden am Grenzübergang Sçepan Polje gewartet, bis wir endlich an der Reihe waren, stellten wir fest, dass die einzige Möglichkeit, nach Montenegro zu gelangen, über eine zirka drei Meter breite, recht baufällig wirkende Holzbrücke führte. Alle Mann im Einsatz, wurden wir direkt ab Zollstation irgendwie auf diese Brücke raufbugsiert. Glücklicherweise hielt sie auch, und so erreichten wir völlig entnervt und ziemlich adrenalingeladen des montenegrinische Bergland.
Wo die vielen Autos geblieben waren, die mit uns an der Grenze auf die Abfertigung warten, wusste keiner. Denn außer uns war scheinbar niemand mehr unterwegs. „Ich glaub’s ja nicht, da kommt ein Wohnwagen!“, zeigte sich Jörg ziemlich entgeistert. „Es gibt also noch mehr, die nicht ganz dicht sind.“ Die Fenster runtergekurbelt, ein großes Hallo … Die Sprache? Egal. Es waren andere Menschen genauso unterwegs wie wir. Die beiden älteren Polen strahlten übers ganze Gesicht. „No problem!“ sagte er und zeigte mit dem Daumen nach oben. „A lot of serpentines“, sagte sie und beschrieb eine verwegenen Kurvenlinie. „Good luck and good journey“, wünschten wir zurück.
Bis nach Albanien würden wir es heute wohl nicht mehr schaffen, und ein weiterer Grenzübertritt kam nicht in Frage. Pluzine am Piva-Stausee sollte also unser Übernachtungssplatz werden. Eine gute Idee, eine grandiose Kulisse, ein fantastisches und unglaublich billiges Abendessen in der Konoba nebenan, ein gewaltiges Gebirgsgewitter und ein äußerst gemütlicher Film-Abend im Wohnwagen …

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Eyes without a Face

Der Song von Billy Idol lief im Radio, als wir heute Nachmittag an der Beachbar gesessen haben. Irgendwie scheint mir dieser Text mehr als passend für die zunehmende Islamisierung dieses Landes. Sagt übrigens auch Peter aus Graz vom EUFOR-Bataillon aus Sarajevo. Denn es ist eben nicht nur Jajce, wie wir längst festgestellt haben, sondern das ganze Land, in dem sich der Islam immer mehr und immer schneller ausbreitet. Was aber nicht auf die innerpolitischen Strukturen zurück zu führen ist, sondern vielmehr auf die Einflüsse von außen. Und außen heißt: Arabien. Von außen heißt auch: finanzielle Mittel. Und weil ich immer alles genau wissen will und mir Mutmaßungen und falsche Urteile nicht genügen, frage ich einfach nach.
„Nein Mama! Nicht schon wieder. Lass jetzt! Geh da nicht hin, die verstehen dich sowieso nicht!“ So klingt meist Marlene, weil ihr das alles hier einfach viel zu fremd ist. Sie war übrigens auch die Erste, die bemerkt hatte, wie sehr sich die vollverschleierte Frau in Jajce echauffierte, als ich sie heimlich fotografiert hatte. „Los, renn! Die gehen sonst auf uns los!“
Auf jemanden los geht hier ganz gewiss keiner, zumindest nicht, wenn es an touristischen Hotspots ist. Und so bin ich einfach auf die Menschen auf „unserer“ Badeplattform zugegangen oder vielmehr zugeschwommen und über die Leiter aus dem Wasser hochgeklettert.
„Hi! Where are you from?“, fragte ich die Männer, die sich zum abendlichen Kaffee niedergelassen hatten. Von Kuwait seien sie, erklärte der Pascha, dessen eindeutiger Status schon auf den ersten Blick ersichtlich war. Er stellte mir seine beiden Söhne vor, ebenso die beiden Freunde der Söhne. (Töchter sind übrigens nie anzutreffen.) Die Frauen indes seien zu Hause, während sie selbst hier ihre Ferien verbrächten. Das vierte Jahr bereits flögen sie regelmäßig von Dubai nach Sarajevo, hätten ein Haus am Jablanico Jezero gekauft. Sofort wurde mir Kaffee und Schokolade angeboten und Jörg dazu gerufen. Gastfreundschaft scheint selbstverständlich zu sein, und zum ersten Mal dachte ich darüber nach, dass meine „leichte Badebekleidung“ und meine tropfnasse Erscheinung in deren Augen ein ähnlicher Affront darstellen musste, wie in unseren Augen eine gesichtslose Frau in einer Burka mit lediglich zwei engen Gucklöchern. Aber irgendwie halt doch anders …

Peter sagt auch, dass sich der Islam hier ausbreiten würde, wie ein Geschwür. Schnell und gefährlich. Das spüre man an der ganzen Stimmung im Land. Auch für den Unkundigen ist das übrigens spürbar. Zum Beispiel an den Ortschildern in den serbischen Gebieten, auf denen der lateinische Ortsname überall unkenntlich gemacht ist. Dabei ist es den Serben gar nicht zu verübeln, dass sie um ihr Land „kämpfen“. Denn sie fühlen sich schlichtweg überrannt und aus ihrer Heimat vertrieben und wollen doch nichts, als das Erbe Jugoslawiens verteidigen.
Gegen diesen Zustrom ist kaum noch anzukommen. Es entstehen immer mehr Moscheen mit Geldern und Zuschüssen aus dem Nahen Osten, aus Saudi-Arabien, aus Kuwait, aus den Emiraten. Sarajevo beispielsweise ist mittlerweile überwiegend muslimisch. Damit kaufen sich die Saudis und all die anderen regelrecht in dieses Land ein.
Auf die Frage, was denn die EUFOR in Bosnien noch zu tun hätte, gibt Peter nur ein kurzes Statement ab: „Dia konnst no long ned allän loss’n. Denn dia derschlong sich sonst boid wieder.“
Schuld daran seinen mitunter die politischen Verhältnisse, ergänzt er. „Do stinkt äniges gewoidig zum Hümmä.“ Korruption und vieles mehr, worüber keiner Bescheid weiß, was nie an die Öffentlichkeit gelangt und was man auch gar nicht wissen will. So, wie man auch nicht wissen will, wie es tatsächlich zu den Dayton-Verträgen gekommen ist. Der Jugoslawienkrieg kümmert keinen mehr wirklich, auch das sagt er. „Denn jetzt hom mer jo an Därror. Des is der naiche Kriag.“ Und unter den Kriegsführern befänden sich vorneweg die Medien – Twitter, Facebook, Bild und Co auf Feldzug im Quotenkampf. Da geht es heutzutage nur noch um Klicks und um Likes, um Headlines und eben um die Quote. Und jede Bombe, die irgendwo hochgeht, kommt gerade recht. Wer der erste ist am Hotspot, der hat die Story. Und derjenige, der sie hochgehen lässt, wird auf einen Klick weltberühmt. Um es mal bitterböse und ganz krass auszudrücken …
„Wuist a Bier?“, fragt er mich, drückt mir eine Dose Gösser in die Hand und versucht, von der Politik und dem Weltenlauf abzulenken. Als Antwort erhält er von mir eine Gegenfrage. „Wie verkraftet man solche Einsätze auf Dauer, und was macht das mit einem?“ Denn auch im Kosovo war er zu Kriegszeiten im Einsatz. Jeweils für acht Monate, dann geht es bis zum nächsten Einsatz für vier Monate zurück nach Österreich. „Des wuist net wiakle wüss’n“, sagt er knapp, und seine Stimme wie auch seine Stimmung verändert sich unmittelbar.
Wie überhaupt den acht Jungs dieses Bataillons an diesem Nachmittag am Boracko Jezero nicht anzumerken ist, dass sie eigentlich einen Tag Freizeit verbringen sollten; von Easy Going ist rein gar nichts zu spüren. Das ganze schwere Geschütz gut gesichert in drei Autos verteilt, die neben unserem Wohnwagen stehen, kann keiner wirklich entspannen. Ständig sind sie in Habacht-Stellung, und ständig ist der Blick in alle Richtung gerichtet. Ob es nach solchen Einsätzen jemals wieder möglich sein wird, ins Leben zurückzufinden?

Kommt keiner!

Am Abend kamen Verena und Hendrik. Beide waren sie junge 19 Jahre alt und mit dem kleinen Bus von Verenas Papa unterwegs, den sie auch immer wieder telefonisch konsultieren mussten, wenn’s mal wieder eine kleine Delle gab. „Nee! Ne?“, zeigte sich Hendrik auf westfälische Weise völlig entgeistert. „Ihr seid mit dem Wohnwagen echt hier hoch und wieder runter gefahren? Das hatten wir ja schon mit dem Bus schier nicht geschafft. Voll krass!“ Wie wir weiter kommen werden, wollte er wissen. Die Frage ist durchaus berechtigt, denn noch sind wir hier, weil das erstens soooo ein schöner Platz ist und weil wir einfach noch keinen Plan haben. Auf jeden Fall wollen wir die Strecke nicht mehr zurück, wäre doch die Steigung in die andere Richtung vermutlich nicht besser fahrbar. Die Alternative ist eine gelbe sehr enge Schlangenlinie auf der Landkarte, die sich über sehr viele Höhenlinien windet und eine Länge von geschätzten 70 Kilometer zu haben scheint.
„Die nehmen wir! Alles ist besser als der Rückweg“, war sich Jörg heute sicher. Ich mir nicht so. Aber immerhin besser, eine Route erst gar nicht zu kennen und einfach auf gut Glück loszufahren, als zu wissen, was auf einen zukommt. Damit das Unterfangen nicht gänzlich zum Himmelfahrtskommando werden würde, sind Verena und Hendrik heute schon mal vorausgefahren. Denn auch sie wollen über Foca nach Montenegro in den Durmitor. Die beiden haben unsere Handy-Nummern, und jetzt warten wir darauf, dass sie grünes Licht geben.
Sicherheitshalber die Strecke heute Vormittag die ersten 15 Kilometer abgeradelt, haben wir tatsächlich festgestellt, dass die Straße erstens breit genug ist, und zweitens hier fast keiner fährt. Denn das geht hier mitten durch die Berge und eine sehr dünn besiedelte Gegend zwischen Neretva und Hochgebirge.
Nach mittäglichem Badestopp am Ufer der zirka zwölf Grad kalten grünen Schönen haben wir das auffordernde Angebot der kleinen Bar In The Middle of Nowhere durstig angenommen. „Kann ich euch helfen?“, fragte der Wirt, nachdem er schon länger unsere eifrigen Versuche der Kartenauslegung beobachtet hatte. Oh ja, und wie er konnte. Und er konnte auch hervorragendes Deutsch. In Oberhausen sei er aufgewachsen. „Aber irgendwann hat es mich nach Hause gezogen“, sagt er und macht trotz der recht aussichtslosen Lage (sieht man einmal vom grandiosen Blick auf die Neretva ab) einen sehr zufriedenen Eindruck. „Nein, es verirrt sich nur selten einer hier her“, sagt er. „Aber ich will auch nicht reich werden. Fünfzig bis hundert Mark am Tag genügen.“ Mit seiner Frau lebt er hier oben in den Bergen. „Die ist grad unten im Dorf“, erzählt er weiter. Und wenn heute einer kommen würde und etwas zu essen bestellen würde, könnte er zumindest den Stromausfall vorschieben, der seit zwei Stunden mal wieder alles lahm legt – nur um nichts kochen zu müssen. „Ich kann nur Spiegeleier“, gibt er schmunzelnd zu. Aber es kommt ja eh keiner. Gut, dass wir nur ein Bier bestellen.
Die Straße, ja, die sei gut befahrbar. „Solange die gelb ist auf der Landkarte, hat die wohl Asphalt.“ Sagt der Wirt, ist sich aber auch nicht ganz sicher, denn soweit kommt er hier gar nicht weg. Zumindest aber die Steigung sei seines Wissens nach geringer, als jene von Konjic hoch. Und Verkehr gibt’s hier eh kaum.
So sitzen wir noch eine ganze Weile, betrachten verträumt die grüne Neretva, lauschen den unverständlichen Gesprächen zwischen Wirt und seinem einzigen Gast, was ohnehin die perfekte Symbiose abzugeben scheint und nach viel mehr nicht verlangt. Wir starren auf die Straße, die flimmernde Hitze auf dem welligen Asphalt und sind einfach glücklich, dass sich hier kaum ein Auto her verirrt.
„Kommt keiner.“ Sagt Jörg nach einer Weile in fast philosophischem Tonfall. „Ja, kommt keiner.“ High Noon im Hochgebirge … Und auch ich bin mir langsam sicher, dass wir zumindest den Versuch wagen sollten, den Weg über die Berge nach Foca zu nehmen. Mal gespannt, was Verena und Hendrik sagen …

Die SMS kam gerade eben. „Zirka 20 Kilometer mittendrin unbefestigte Piste, obendrein eine stark einsturzgefährdete Holzbrücke. Das packt ihr mit dem Wohnwagen niemals! Wir sind endlich im Durmitor. Viele Grüße und eine gute Weiterreise, Vreni und Hendrik“

Entsprechend ist die Ernüchterung und auch eine gewisse Panik ist momentan nicht zu leugnen. Wie kommen wir hier jemals wieder weg? ADAC ist Marlenes Vorschlag, was ich übrigens noch nicht mal als den schlechtesten Einfall erachte (lohnt sich diese Mitgliedschaft dann endlich!). Jörg meint, das käme ungefähr einer Kapitulation gleich und ist dafür, entweder die Strecke morgen mit dem Auto abfahren und Lage checken (hey, das geht einmal komplett über die Treskavica, also Mountain Adventure!), oder mit dem Auto die 15 Kilometer zurück und sich jede Serpentine einprägen, um im entsprechenden Moment bloß nicht stehen zu bleiben. Peter, der Bataillonsführer der EUFOR-Truppe aus Sarajevo, die uns heute den ganzen Nachmittag an unserem Platz unmittelbar am See Gesellschaft geleistet und uns mit österreichischem Gösser-Bier versorgt haben, meint, man könne den Wohnwagen durchaus per Hubschrauber ausfliegen, aber 1.400 Kilo seien einfach zu schwer. Und einen größeren Hubschrauber hätten sie nicht mehr zur Verfügung, denn auch hier würde längst eingespart. Aber das ist eine andere Geschichte … Jetzt bin ich erst mal gespannt, wie diese Geschichte hier ausgeht.

 

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Another Hero?

Gestern sind wir ein Stück weiter südwärts gezogen, was unseren Wohnwagen beziehungsweise den Mitschuh zum ersten Mal an seine Grenzen gebracht hat. Die Fahrt verlief zunächst völlig reibungslos, denn mit einem langsamen Vorankommen war bereits vor Abfahrt zu rechnen. So tuckerten wir gemütlich über die bosnische Landstraße in Richtung Sarajevo. Verkehr gab es wenig, staunende und winkende Menschen viele, so, wie sie uns im vergangenen Jahr bereits begegnet waren.
Manche Dinge bemerkt man auf solchen Fahrten erst auf den zweiten Blick, wenn man ihn abwendet von der Landschaft und den Menschen, die hier leben. Zum ersten Mal fielen uns die unzähligen Friedhöfe auf, die fast flächendeckend das ganze Land überziehen. Am Eindrücklichsten sind davon gewiss die muslimischen „Gottes“äcker, denn die nehmen gewaltige Ausmaße in Anspruch. Fast kommt es einem vor, als würden hier Flächennutzungspläne unter einem ganz anderen Aspekt betrachtet. Diese Felder ziehen sich hügelan, hügelab über’s ganze Land hinweg. Immer wieder unterbrochen von christlichen oder orthodoxen Friedhöfen. Aber in der Summe überwiegen ganz klar die muslimischen Gräberfelder.
„Was hier für ein Totenkult betreiben wird, ist schon gewaltig“, fasst Jörg das sich daraus ergebende Flickwerk in der Landschaft zusammen. „In diesem Land wird für die Toten mehr getan als für die Lebenden.“ Das kann man wohl so auf den Punkt bringen. Und diese Friedhöfe werden auch nie wieder aus diesem Bild verschwinden. Sie wachsen und wachsen und wachsen. Wie die Moscheen auch. Da gilt es scheinbar vor allem, Zeichen zu setzen, was in der Summe irgendwie ein erschreckendes Bild abgibt. Einen Liegeplatz hat man hier auf „Lebzeiten“ im Reich der Toten. Da wird nicht etwa nach 100 Jahren das Feld geräumt, um dem Nächsten Platz zu machen …

So führte unsere Route weiter durch Dörfer, vorbei an Flüssen und Seen und vielen, vielen Poljes. Bis sich die Straße aufbäumte und zu einer ersten sportlichen Bergetappe über den Makljen aufforderte. Locker die Serpentinen gepackt, denn Mitschuh als auch Wohnwagen hatten beide neue Schuhe bekommen, offenbarte sich oben auf der Passhöhe ein gewaltiger Blick über das Land.
„Los, wir halten hier an, irgendwo wird das schon möglich sein. Ich möchte ein Foto machen“, war meine befehlende Bitte 🙂
„Ne, Mama, echt nicht, wir wollen heute noch ankommen und endlich zum Baden“, maulten die Kinder aus der hinteren Reihe. „Das kannst du dir alles nachher auf Google Earth anschauen“, war Marlenes ernst gemeinter Vorschlag.
Ja, und ich muss zugeben, das tue ich auch oft. Aber jetzt wollte ich das Panorama halt Live und in Echtzeit haben. Also Stühle raus und Picknick gerichtet!
Etwas abenteuerlicher gestaltete sich dann die Abfahrt. Wo letztes Jahr noch Straße war, war dieses Jahr keine mehr. Dafür jede Menge Schotter, erdrutschgezeichnetes Gelände und Bagger, Laster, Bauarbeiter. Irgendwie kamen wir durch, oder vielmehr hüpften wir mit unserem Gespann über Stock und Stein, wichen herabkrachenden Felsbrocken aus, befanden uns aber bald schon wieder auf dem Asphalt. (Gruß an Bine und Dreas: Die stibitzten langstieligen Campari-Gläser aus der Maremma haben’s übrigens überlebt ;-))
War ja halb so schlimm! Ganz schlimm sollte es nämlich erst noch kommen …

Konjic war unser Ziel, zumindest jenes, welches das Navi noch verstanden hatte. Denn für die letzte Etappe waren keine Karten mehr verfügbar.
„Kinder, jetzt sind wir gleich da! Es sind gerade mal noch 15 Kilometer.“ Und mit der grandiosen Kulisse, dem grün-blauen Wasser der Neretva, dem Anblick des herrlichen Jablanicko-Jezeros und des blitzblauen Himmels stieg auch meine Vorfreude auf den Boracko Jezero. Dass sich dieser See nicht umsonst als einer der schönsten Bergseen Bosniens bezeichnet, hat wohl einen Grund, und dieser Grund heißt schlichtweg: Berg!
Ich will jetzt gar nicht mehr weiter ausführen, wie sich diese letzten „kurzen“ 15 Kilometer nicht nur in die Länge, sondern vor allem in die Höhe gezogen haben … Am Anfang war’s kein Problem. Auch die kleine Fußgängerzone unten im Dorf ließ sich locker durchkreuzen. Das Lastwagenverbots-Schild gab zum Einen Beruhigung, zum Anderen aber warf es doch die heimliche Frage auf, weshalb hier Lastwagen nicht fahren dürfen … Aber ach was. Es ging ja! „Gell, da kommt jetzt keiner, wenn da ein Verbots-Schild steht?“, richtete ich mehr verzweifelt und mich an einen dünnen Strohhalm klammernd meine Frage an Jörg, so, wie wenn man ein Kind fragen würde „Gell, du isst nichts von der Schokolade auf dem Tisch, wenn ich nicht hingucke?“ Oder so ähnlich …
Noch war Jörg guter Dinge. Schmunzelte über meine Panik und kurbelte Kurve um Kurve die Serpetinen hoch. Auch noch, als die Straße enger und enger wurde und schließlich in einen Singletrail überging, ließ seine Zuversicht nicht nach. „Das ist schon mal ein guter Vorgeschmack für den Llogara-Pass. Du wolltest doch noch ganz andere Straßen fahren“, kamen immer wieder kleine, süffisante Seitenhiebe.
„Da kommt einer!!!!“, brüllte ich wie vom Blitz getroffen. „Nein, gleich zwei!!!!“
Jetzt wurde es nicht nur saueng, sondern auch Jörg ziemlich blass. Zwei große Lastwagen von oben, zirka zehn Autos hinter uns und eine einspurige Piste mit geschätzten 15 Prozent Steigung vor uns. Die Notlage war schnell erkannt, die beiden Lastwagen mussten nach oben zurücksetzen. Was uns dazu brachte, in einer geschotterten Ausweichstelle erst einmal kurz Luft zu holen, um nach dem Passieren der beiden LKWs im Geröll anfahren zu müssen. Vorbelastet vom letzten Jahr, steckte uns immer noch das Durmitor-Desaster in den Knochen … Ein Scharren der Räder, ein Fauchen, ein Qualmen, viel Gummi … „Ich dreh jetzt gleich durch!“, waren meine verzweifelten Töne, die ich halb wimmernd, halb schreiend von mir gab. Die Reifen taten es mir gleich! Bis der Mitschuh gerade noch die Kurve gekriegt hat und mit dem Wohnwagen im Schlepptau ins Rollen kam.
Irgendwie haben wir es mit viel Glück ohne ein weiteres Mal anhalten zu müssen nach oben geschafft. Puh!
„Hätte man sich das nicht mal auf Google Earth anschauen können, bevor man so eine Strecke fährt?“ Klar, hätte „man“, Frau hat’s eben nicht getan. Ich laß mich doch nicht von Google Earth dominieren!
Jörg zeigte sich zum ersten Mal und mit Schweißperlen auf der Stirn etwas angesäuert, während Tina Turner aus dem Radio röhrte: „all the children say: we don’t need another hero!“ Wie recht sie doch hatte: Denn wir hatten ja einen 🙂
„Boah, ist das ein toller Blick nach unten“, fand ich schnell meine Worte wieder. „Siehst du da unten den See?“ Klar sah Jörg den See und zeigte sich auch wenig verwundert, dass der sich nicht ganz oben auf dem Pass befand. Wie’s weiter ging, will keiner wirklich wissen, sowenig, wie wir wissen wollen, wie wir hier jemals wieder weg kommen werden.
Den zauberhaften Platz am noch zauberhafteren Boracko Jezero nach den längsten 15 Kilometer unseres Lebens erreicht, schien sich auch der Wirt dieses „Eko Selos“ zu wundern, wie wir hier überhaupt her gekommen sind. Zumindest war er völlig konsterniert, als es darum ging, eine Rechnung für Auto UND Wohnwagen ausstellen zu müssen.

 

 

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Die Pinguine von Jajce

Diejenigen, die sich an die „Höllenhunde von Jajce“ erinnern, erwarten hier bestimmt eine Neuauflage der nächtlichen Gefechte sämtlicher bosnischer Straßenköter. Aber ganz falsch gedacht: Die Hunde sind weg, dafür sind die Pinguine da! Und viel mehr noch ist da. Über das ich in der Kürze der Zeit gar nicht berichten kann. So vieles haben wir in diesen heutigen Tag gepackt. Also müssen ein paar Stichworte genügen, um euch davon überzeugen zu können, dass wir wohlauf sind 🙂
1.

Vielen Dank für die vielen herzlichen Geburtstagsgrüße. Schön, aus der Ferne über so viel Nähe zu wissen …

 

2.

Das Glücksschwein von Bine und Dreas kann ich sowas von gut gebrauchen und gibt mir ein Grundvertrauen und eine gewisse Sicherheit, die mich nach meinem gestrigen Zaudern und Zögern einfach Lügen straft. Heute übrigens hatte es seinen ersten Einsatz. (Aber nicht nur das Schwein allein, sondern auch das legendäre Notfallbüchle ist mit an Bord, samt den 20 Euro, die im Buchrücken verstaut sind und über den allergrößten Notfall hinweg helfen sollen …

 

3.

Abenteuerliche Radtour durch das bäuerliche Bosnien mit diversen Badepausen.

 

4.

Besichtigungsmarathon am Nachmittag mit dem gefassten Beschluss, die nächsten Tage ruhig anzugehen.

 

5.

Die aufgeworfene Frage: Woher kommen all die Pinguine? (Mit den Pinguinen seien die unzähligen voll verschleierten Frauen in langen Burkas gemeint, die, begleitet und bewacht von ihren Männern und dem Rest der Familie ein mehr oder weniger isoliertes Dasein unter dieser Art Tarnmantel fristen. Stellt sich eine weitere Frage: Weshalb sind die alle hier? Jörg ist der Meinung, weil Bosnien das nördlichste muslimische Land sei und weil sie in christlich geprägten Ländern wenig Ansehen unter diesen furchteinflößenden und menschenunwürdigen Gewändern genießen würden. Und weil Jajce so eine Art Pinguine-Hochburg darzustellen scheint. Die Balkan-Eisscholle sozusagen. Und ich frage mich: Wo kommen sie her? Aus aller Herren Länder, in denen die Frauen nichts zu sagen haben. Aber die Sippen sehr wohlhabend sind, was man an deren (Männer)Kleidung und dem ausgeprägten Markenbewusstsein sieht. Oftmals ist das ein erschütterndes Bild, wenn einer dieser Pinguine beim Essen sitzt und Gabel für Gabel unter einem Ganzkörperschleier mit integriertem Gesichtsschutzlappen verschwinden lässt (und ja, wir haben tatsächlich damit begonnen, im Maskulin von diesen Gestalten zu sprechen, ist ihnen doch dadurch jegliche Weiblichkeit abhanden gekommen).

 

6.

Hier mit der Policija in Clinch zu geraten, ist nicht unbedingt lustig, aber irgendwie war es das doch. Direkt aus der Bar („In der Bar, in der Bar, was machen die da?“ Klar! Biertrinkern! :-)) mit dem Auto unmittelbar auf den Polizeiposten am Stadtausgang zugesteuert, war Jörg noch bemüht, rasch einen Kaugummi einzuwerfen und in der Kürze der ihm verbleibenden Zeit bis zur Beinah-Inhaftierung darauf herumzukauen wie eine Allgäuer Kuh auf einer Portion aufgestoßenen Huflattichs. Es war aber auch zum Kotzen. Da waren wir mal grad zwölf Minuten über der Zeit, den Stadtkern automobil zu räumen, und schwupp-di-wupp hatten sie uns an der Kandare. Die Bierfahne indes spielte dabei gar keine Rolle, das gehörte wohl zum guten Ton. Beide sprangen wir aus dem Auto, damit sich unsere Ausdünstungen schnell in Luft auflösen konnten, andere Dinge dies aber nicht taten. Im Gegenteil wurde die Luft immer dicker! Es sei bereits nach 18 Uhr und somit dürften hier keine Autos mehr fahren. Gut, das hatten wir am Nachmittag schon den Schildern entnommen, bloß jetzt blöderweise vergessen. Und obwohl sich Täter wie Richter nicht nur hervorragend verstanden hatten ohne auch nur ein einziges Wort der jeweiligen Sprache zu sprechen oder zu verstehen, sondern auch den allergrößten Spaß miteinander hatten – Strafe musste sein! Da wollte der doch glatt Jörgs Führerschein einbehalten und uns „bitten“, morgen früh bei ihm auf der Polizeiwache vorbeizukommen, um zehn Mark Wechselgeld abzuholen. Die Buße betrug nämlich exakt 20 Euro. Oder eben 40 Bosnische Mark. Und wir hatten nur einen 50-Mark-Schein … 🙂 Irgendwo kramte er dann noch ein bisschen Münzgeld in seiner Hosentasche hervor … Der Rest war dann Trinkgeld!

„Da fliegt dir doch das Blech weg …“ 🙂

 

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